Unmittelbar vor der heute beginnenden Präsidentenwahl sind in Ägypten die Repressalien gegen Journalisten noch einmal eskaliert. Präsident Abdelfattah al-Sisi und die Justiz drohen Kritikern in Medien und sozialen Netzwerken immer unverhohlener mit Verfolgung. Jetzt wurde die Kairo-Korrespondentin der britischen Zeitung The Times des Landes verwiesen.
Berlin – „Das ägyptische Regime kennt kaum noch Grenzen, wenn es darum geht, freie Berichterstattung zu verhindern“, sagte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. „Regierung und Justiz in Ägypten müssen endlich aufhören, unabhängige Medien als Feinde oder Verräter zu behandeln. Alle willkürlich inhaftierten Journalisten in Ägypten müssen sofort freigelassen werden.“
Mit Blick auf die deutsche Außenpolitik gegenüber Ägypten fügte Mihr hinzu: „Die Bundesregierung gesteht sich offenbar immer noch nicht ein, mit welcher Brutalität der ägyptische Staat seine Kritiker mittlerweile unterdrückt. Anders ist der zynische Verweis auf das Ziel einer ‚Stabilisierung‘ im Koalitionsvertrag nicht zu erklären.“ Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es zu Ägypten lediglich, man werde „die wirtschaftliche und politische Stabilisierung fördern und die Resilienz gegen Gefahren terroristischer Strukturen stärken“.
„VERRÄTER“-RHETORIK UND AUFFORDERUNGEN ZUR DENUNZIATION
Präsident Abdelfattah al-Sisi persönlich sagte am 1. März, wenn Medien die Armee oder die Polizei beleidigten, sei das Landesverrat. Der Generalstaatsanwalt wies seine Untergebenen an, Medien und soziale Netzwerke zu durchforsten und jene zu verhaften, „die den Kräften des Bösen dienen, indem sie absichtlich Falschnachrichten verbreiten, die den Interessen der Sicherheit und des Staates schaden“ . Am 12. März forderten die Behörden alle Bürger auf, „lügnerische“ Berichte in Medien und sozialen Netzwerken an eigens dafür eingerichtete Hotlines zu melden.
Am Samstag nun machte die britische Zeitung The Times publik, dass ihre Korrespondentin Bel Trew schon Ende Februar bei Recherchen zum Thema Migration festgenommen und unter Androhung eines Militärprozesses zur Ausreise gedrängt wurde. Für den Fall ihrer erneuten Einreise sei ihr mit der Festnahme gedroht worden, teilte Trew mit.
VERFOLGT WEGEN BERICHTEN ÜBER EXTREMISTEN, OPPOSITION, LEBENSHALTUNGSKOSTEN
Mindestens 26 Journalisten sitzen derzeit in Ägypten in direktem Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung im Gefängnis. Der Sinai-Experte Ismail Alexandrani etwa hatte über die Aktivitäten extremistischer Gruppen recherchiert und sitzt inzwischen seit mehr als zwei Jahren ohne Prozess im Gefängnis. Der TV-Producer Mahmud Hussein sitzt seit Dezember 2016 wegen seiner Arbeit für den katarischen Nachrichtensender Al-Dschasira im Gefängnis; der in Katar lebende Journalist wurde festgenommen, als er zu einem privaten Familienbesuch in seine Heimat reiste.
Der Journalist Moatas Wadnan wurde im Februar verhaftet, nachdem er auf dem Nachrichtenportal HuffPost Arabia ein Interview mit einem bekannten oppositionsnahen hohen Ex-Beamten und Politikberater veröffentlicht hatte. Die Vorwürfe gegen ihn lauten Verbreitung von Falschmeldungen zur Aufwiegelung gegen den Staat sowie Mitgliedschaft in einer illegalen Vereinigung. Als Tabuthemen, für die Journalisten verfolgt werden können, gelten mittlerweile sogar die Lebenshaltungskosten und die Auswirkungen der hohen Inflation.
Am 3. März forderte die Staatsanwaltschaft die Todesstrafe für den Fotojournalisten Mahmud Abu Seid alias Shawkan. Shawkan wurde im August 2013 verhaftet, als er für die britische Fotoagentur Demotix über das gewaltsame Vorgehen der Armee gegen die Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi berichtete. In einem politischen Massenprozess muss er sich nun mit mehr als 700 weiteren Angeklagten gegen Vorwürfe wie Mord und Mitgliedschaft in der verbotenen Muslimbruderschaft zur Wehr setzen. In der Haft ist Shawkan schwer an Hepatitis C erkrankt.
Reporter ohne Grenzen setzt sich mit Protestmails an Präsident Sisi für seine bedingungslose Freilassung ein. (Mitmachen unter www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/freeshawkan)
RUND 500 WEBSITES WERDEN ZENSIERT
Medienzensur ist in Ägypten mittlerweile alltäglich und nimmt viele Formen an: Druck- und Vertriebsverbote, Anrufe von Geheimdienstvertretern in den Redaktionen und Nachrichtensperren etwa nach Terroranschlägen. Rund 500 Webseiten sind gesperrt, darunter die Seiten von Medien wie Bedaja und Mada Masr, von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und dem Arab Network for Human Rigts Information sowie die internationalen und deutschen Webseiten von Reporter ohne Grenzen und das das ROG-Projekt Media Ownership Monitor.